Jahresprogramm 2024
Alfried Krupp

Forschungsprojekt „Alfried Krupp und der National-
sozialismus“

Forschungsprojekt zur Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geht in die zweite Phase

Das 2022 von der Krupp-Stiftung initiierte Aufarbeitungsprojekt zur Haltung ihres Stifters Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geht weiter: Die zweite Projektphase, die sich der vertiefenden Erforschung basierend auf den Ergebnissen sowie identifizierten Quellen des ersten Projektabschnitts widmet, ist gestartet. Das multidisziplinäre Team von acht Autorinnen und Autoren hat im Rahmen eines initialen Workshops relevante Fragestellungen diskutiert und wird sich in den nächsten Monaten verschiedenen Themen­schwer­punkten zuwenden, um ein möglichst facettenreiches Bild Alfried Krupps in dem Zeitraum seit den 1920er Jahren bis zu seinem Tod 1967 zu erhalten. Das Ziel ist ein multiperspektivischer Sammelband, der auch in englischer Sprache erscheinen wird. Herausgegeben wird die Publikation von der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Begleitend wird eine digitale Anwendung erarbeitet mit dem Ziel, das Thema möglichst barrierearm und ortsunabhängig zu vermitteln und insbesondere auch junge Ziel­gruppen zu erreichen.

2022 initiierte die Krupp-Stiftung ein Rechercheprojekt, das Quellen suchen sollte, die Aufschluss über die Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geben könnten. Die von Prof. Dr. Eckart Conze, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und Experte für die Geschichte und Wirkungs­geschichte des Nationalsozialismus, geleitete Quellen­recherche schuf einen Überblick über vorhandene projektrelevante Unterlagen in nationalen und internationalen Archiven, darunter auch im Historischen Archiv Krupp. 2023 wurden die Ergebnisse des von Prof. Conze geleiteten Rechercheprojekts vorgestellt und auf der Website der Stiftung veröffentlicht.

Projektchronologie

Projektstart 2022

Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat im Februar 2022 ein unabhängiges wissenschaftliches Rechercheprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Eckart Conze initiiert, um mehr über das Verhältnis von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zum Nationalsozialismus zu erfahren. Die Stiftung sieht es als ihre Verantwortung und Aufgabe an, sich erneut aus dem Blickwinkel aktueller Fragestellungen ebenso wie neuer Forschungsperspektiven mit der Biografie ihres Stifters zu befassen. Prof. Dr. Eckart Conze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und Experte auf dem Gebiet des Nationalsozialismus. Das Ziel des von ihm geleiteten Projekts bestand darin, über eine Quellenrecherche der Person Alfried Krupps und seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus näher zu kommen.

Erste Projektphase 2022-2023: Quellenrecherche

Die Quellenrecherche umfasste die Identifizierung, Sichtung und Analyse neuer bzw. noch nicht systematisch untersuchter Quellen zu Alfried Krupp und seiner Haltung zum Nationalsozialismus seit den 1920er Jahren. Es erweiterte bewusst den Zeitraum des „Dritten Reiches“ 1933-1945 und bezog sowohl die Haltung Alfried Krupps (1907-1967) in der Weimarer Republik ein als auch den Umgang Krupps mit der NS-Vergangenheit in der Zeit der Bundesrepublik. Dabei sollte der Blick über das unter­nehmerische Handeln Alfried Krupps hinausgehen und auch andere Dimensionen berücksichtigen, beispielsweise politische Positionen oder private Äußerungen.

Gemeinsam mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Dr. Jens Brüggemann, stellte Prof. Conze eine konsistente Recherchestrategie für das Projekt auf, die darauf abzielte, potenziell aussagekräftige Quellenbestände zu bestimmen. Dafür wurden Datenbanken und Findmittel von zahlreichen nationalen und internationalen Archiven eingesehen, von denen schließlich 14 für eine systematische Quellenrecherche ausgewählt wurden. Neben dem Historischen Archiv Krupp, das für die Quellenrecherche als wichtigste Anlaufstelle galt und den Wissenschaftlern uneingeschränkt zur Verfügung stand, waren dies drei Abteilungen des Bundesarchivs, vier Staats- und Landesarchive, das Archiv des ITS-Arolsen, des Instituts für Zeitgeschichte und zweier KZ-Gedenkstätten sowie die Dokumentations- und Forschungsstelle für Sozialversicherungsträger. Eingesehen wurden private und geschäftliche Unterlagen Alfried Krupps, verschiedener Familienmitglieder und anderer Akteure aus dem Konzernumfeld oder dem Freundes- und Bekanntenkreis, darunter Schriftwechsel, Besprechungsniederschriften, Notizen, Kalender, Partei- und SS-Unterlagen ebenso Akten aus Ministerien, der Wehrmacht, der Gestapo sowie der Verteidigung und Anklage des Nürnberger Krupp-Prozesses. Die eingesehenen Akten und Bestände wurden anschließend im Hinblick auf ihre Aussagekraft und weitere Forschungsmöglichkeiten bewertet.

Potenziale für Fortsetzung der Quellenrecherche

Ausge­wählte inhaltliche Tiefenbohrungen im Rahmen der Quellenrecherche hatten Potenziale ergeben, die eine Fortsetzung des Projekts sinnvoll erschienen ließen. Fragen, die im Zuge einer fortgesetzten Forschung Aufschluss über die Haltung Alfried Krupps zum Nationalsozialismus geben könnten, beziehen sich beispielsweise auf seine fördernde Mitgliedschaft in der SS und seinen vergleichsweisen späten Eintritt in die NSDAP Ende 1938. Weitere Fragen richten sich auf die sogenannte „Landsberghilfe“, ein informelles Unterstützungsnetzwerk, das in den 1950er Jahren aus der Haft entlassenen Kriegsverbrechern aus dem alliierten Gefängnis in Landsberg bei der Eingliederung in die Gesellschaft geholfen hat. Alfried Krupp hat nach seiner Entlassung aus dem Landsberger Gefängnis punktuell Kontakt zu ehemaligen Mithäftlingen gehalten und sie teilweise finanziell, aber auch immateriell unterstützt. Conze und Brüggemann haben mehr als 200 Personen ausgemacht, die Unterstützungsleistungen erhielten, darunter SS-Mitglieder, Angehörige der Gestapo, der Wehrmacht und NS-Funktionäre. Ein weiterer noch nicht vollständig erforschter Themenkomplex betrifft die Beschäftigung von Zwangsarbeiter*innen durch die Firma Krupp: Hier geht es um die Frage der Beteiligung Alfried Krupps an den Planungen für eine Produktionsstätte in Auschwitz und den Einsatz von KZ-Zwangsarbeiter*innen, aber auch um die Erforschung der Informationen, über die er verfügte.

Einbindung einer Expert*innenrunde

Nach Abschluss der Recherchen hat die Stiftung eine Expert*innen­runde eingeladen, um die Ergebnisse des Quellenprojekts zu diskutieren und Empfehlungen für weitere Schritte zu entwickeln. Die Runde setzte sich aus ausgewiesenen Historiker*innen zusammen, darunter Prof. Dr. Simone Derix, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. Norbert Frei, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Dr. Cornelia Rauh, Leibnitz Universität Hannover, Jun.-Prof. Dr. Eva-Maria Roelevink, Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Joachim Scholtyseck, Universität Bonn. Unter den Historiker*innen bestand Konsens darüber, dass eine Fortsetzung der Forschung sinnvoll sei und neue Erkenntnisse zutage bringen könne.

Zweite Projektphase 2023: Vertiefte Forschung und Publikation

Auf der Grundlage der Empfehlungen von Prof. Conze und der Expert*innenrunde beschloss die Stiftung, die Quellen­recherche mit einer zweiten Projektphase der vertieften Erforschung fortzusetzen. Gemäß der Empfehlung setzt die zweite Projektphase auf einen multiperspektivischen Ansatz und wird sich in weiterer Forschung und einer Publikation mit Beiträgen von acht Autor*innen unterschiedlicher Expertisen der Haltung Alfried Krupps zum Nationalsozialismus zuwenden.

Das Autor*innenteam besteht aus Persönlichkeiten unterschiedlicher Expertisen im Bereich der Geschichte, Wirtschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte, Erziehungswissen­schaften und Soziologie, namentlich Prof. Dr. Manfred Grieger, Georg-August-Universität Göttingen, Prof. Dr. Heiko Kleve, Universität Witten-Herdecke, PD Dr. Christian Marx, Universität Trier/Institut für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Louis Pahlow, Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Dr. Eva-Maria Roelevink, TU Bergakademie Freiberg, Martina Rupp, Marburg, Prof. Dr. Joachim Scholtyseck, Universität Bonn und Prof. Dr. Dieter Ziegler, Ruhr-Universität Bochum.

Die verschiedenen Expertisen der Autor*innen ermöglichen eine vertiefende Erarbeitung von unterschiedlichen Aspekten des Lebens von Alfried Krupp im Hinblick auf seine Haltung zum Nationalsozialismus. In ihren Beiträgen greifen die Expert*innen das vorhandene Quellen­material ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse auf und gehen ver­schiede­nen Fragestellungen nach, z. B.: Welchen Einfluss hatte das familiäre Umfeld auf die Entschei­dun­gen Alfried Krupps? Wie hat er den Krieg bewertet? Wie sahen seine Handlungsspiel­räume aus? Wie war er persönlich in Entscheidungen zur Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit eingebunden und welche persönliche Verantwortung trug er? Warum hat Alfried Krupp in den 1950er Jahren ehemalige Landsberger Mithäftlinge unterstützt? Welches Bild des National­sozialismus vertrat er? Wie sah er seine eigene Rolle in der NS-Zeit? Diese und weitere Fragen werden die vertiefte Forschungsarbeit leiten.

Das Ziel des Projekts ist ein multiperspektivischer Band, der auch in englischer Sprache erscheinen wird. Begleitend wird eine digitale Anwendung erarbeitet mit dem Ziel, die Geschichte Alfried Krupps möglichst barrierearm und ortsunabhängig zu vermitteln und insbesondere auch junge Ziel­gruppen zu erreichen.

Gesellschaft für Unternehmensgeschichte übernimmt Herausgeberschaft der Publikation

Die Herausgeberschaft des Sammelbands übernimmt die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG), eine etablierte wissenschaftliche Einrichtung zur Förderung von unternehmenshistorischer Forschung. Um den wissenschaftlichen Austausch in Deutschland und weltweit zu fördern, organisiert die GUG unter anderem internationale Konferenzen, Vortragsveranstaltungen, Symposien und Arbeitskreise und gibt das Fachjournal Zeitschrift für Unternehmensgeschichte heraus. Seit über 25 Jahren betreut sie unternehmenshistorische Studien bis hin zur Publikation und hat Unternehmen ebenso wie Stiftungen begleitet, beispielsweise Sartorius oder Miele, Hertie, die Zeppelin-Stiftung oder die Carl-Zeiss-Stiftung. Dabei hat sie umfangreiche Erfahrungen bei Aufarbeitungsprojekten im Kontext des Nationalsozialismus gesammelt.

Publikationen über Krupp

Seit Jahrzehnten setzt sich die Krupp-Stiftung für die Aufarbeitung der Geschichte der Firma und Familie Krupp ein: Sie hat u.a. wissenschaftliche Projekte und Publikationen initiiert, die von renommierten Historikern wie Lothar Gall oder Harold James umgesetzt wurden.

Über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde 1907 als ältester Sohn von Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach in eine Industriellenfamilie geboren. Früh wurde er auf seine Führungsrolle vorbereitet, die er 1943 als Alleininhaber des Unternehmens übernahm. 1945 wurde er von US-Truppen verhaftet und unter Arrest gestellt. 1948 wurde er im Zuge des Nürnberger Krupp-Prozesses wegen „Plünderung“ von Deutschland besetzter Gebiete und Verbrechen im Zusammenhang mit Zwangsarbeit zu zwölf Jahren Haft und zur Einziehung seines Vermögens verurteilt. In den Anklagepunkten „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ und „Verschwörung gegen den Frieden“ spricht das Gericht den Angeklagten frei. Im Zuge einer allgemeinen Überprüfung von Nürnberger Urteilen begnadigte John Jay McCloy, der US-Hochkommissar für Deutschland, den Verurteilten 1951 und hob die Beschlagnahme des Vermögens auf.

1953 übernahm Alfried Krupp wieder die Leitung der Firma Krupp. 1967, kurz vor seinem Tod, verfügte er, sein Privat- und Firmenvermögen in eine gemeinnützige Stiftung einzubringen. Die Stiftung nahm 1968 ihre Arbeit auf und verwendet die ihr zufließenden Erträge aus ihrer Unternehmensbeteiligung, die mittlerweile bei 20,93 Prozent liegt, für die Förderung von Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur, Gesundheit und Sport.

Das unternehmerische Handeln Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs im Nationalsozialismus ist im Kontext des Nürnberger Krupp-Prozesses und in späteren wissenschaftlichen Studien bereits thematisiert worden. Eine umfassende Untersuchung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus gibt es bislang jedoch nicht. Was bedeutete die nationalsozialistische Vergangenheit für sein Wirken an der Unter­nehmens­­spitze? Reflektierte er seine Verantwortung? Hat er sich zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung mit seinem Handeln beschäftigt? Eine Annäherung an Alfried Krupp, die sich auch diesen Fragen zuwendet, steht bis heute aus.

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