Krupp-Stiftung bringt Forschungsprojekt zur Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus in zweite Phase
Multidisziplinäres Autor*innenteam startet vertiefende Forschung mit Auftaktworkshop
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte übernimmt Herausgeberschaft für multiperspektivische Publikation
Essen, 13. Dezember 2024 – Das 2022 von der Krupp-Stiftung initiierte Aufarbeitungsprojekt zur Haltung ihres Stifters Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geht weiter: Die zweite Projektphase, die sich der vertiefenden Erforschung basierend auf den Ergebnissen sowie identifizierten Quellen des ersten Projektabschnitts widmet, ist gestartet. Das multidisziplinäre Team von acht Autorinnen und Autoren hat im Rahmen eines initialen Workshops relevante Fragestellungen diskutiert und wird sich in den nächsten Monaten verschiedenen Themenschwerpunkten zuwenden, um ein möglichst facettenreiches Bild Alfried Krupps in dem Zeitraum seit den 1920er Jahren bis zu seinem Tod 1967 zu erhalten. Das Ziel ist ein multiperspektivischer Sammelband, der auch in englischer Sprache erscheinen wird. Herausgegeben wird die Publikation von der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Begleitend wird eine digitale Anwendung erarbeitet mit dem Ziel, das Thema möglichst barrierearm und ortsunabhängig zu vermitteln und insbesondere auch junge Zielgruppen zu erreichen.
Autor*innenteam und Projekt
Das Team besteht aus Autor*innen unterschiedlicher Expertisen im Bereich der Geschichte, Wirtschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte, Erziehungswissenschaften und Soziologie, namentlich Prof. Dr. Manfred Grieger, Georg-August-Universität Göttingen, Prof. Dr. Heiko Kleve, Universität Witten-Herdecke, PD Dr. Christian Marx, Universität Trier/Institut für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Louis Pahlow, Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Dr. Eva-Maria Roelevink, TU Bergakademie Freiberg, Martina Rupp, Marburg, Prof. Dr. Joachim Scholtyseck, Universität Bonn und Prof. Dr. Dieter Ziegler, Ruhr-Universität Bochum.
Die verschiedenen Expertisen der Autor*innen ermöglichen eine vertiefende Erarbeitung von unterschiedlichen Aspekten des Lebens von Alfried Krupp im Hinblick auf seine Haltung zum Nationalsozialismus. In ihren Beiträgen greifen die Expert*innen das vorhandene Quellenmaterial ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse auf und gehen verschiedenen Fragestellungen nach, z. B.: Welchen Einfluss hatte das familiäre Umfeld auf die Entscheidungen Alfried Krupps? Wie hat er den Krieg bewertet? Wie sahen seine Handlungsspielräume aus? Wie war er persönlich in Entscheidungen zur Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit eingebunden und welche persönliche Verantwortung trug er? Warum hat Alfried Krupp in den 1950er Jahren ehemalige Landsberger Mithäftlinge unterstützt? Welches Bild des Nationalsozialismus vertrat er? Wie sah er seine eigene Rolle in der NS-Zeit? Diese und weitere Fragen werden die vertiefte Forschungsarbeit leiten.
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte
Die Herausgeberschaft des Sammelbands übernimmt die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG), eine etablierte wissenschaftliche Einrichtung zur Förderung von unternehmenshistorischer Forschung. Um den wissenschaftlichen Austausch in Deutschland und weltweit zu fördern, organisiert die GUG unter anderem internationale Konferenzen, Vortragsveranstaltungen, Symposien und Arbeitskreise und gibt das Fachjournal Zeitschrift für Unternehmensgeschichte heraus. Seit über 25 Jahren betreut sie unternehmenshistorische Studien bis hin zur Publikation und hat Unternehmen ebenso wie Stiftungen begleitet, beispielsweise Sartorius oder Miele, Hertie, die Zeppelin-Stiftung oder die Carl-Zeiss-Stiftung. Dabei hat sie umfangreiche Erfahrungen bei Aufarbeitungsprojekten im Kontext des Nationalsozialismus gesammelt.
Projektchronologie
2022 initiierte die Krupp-Stiftung ein Rechercheprojekt, das Quellen suchen sollte, die Aufschluss über die Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus geben könnten. Die von Prof. Dr. Eckart Conze, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und Experte für die Geschichte und Wirkungsgeschichte des Nationalsozialismus, geleitete Quellenrecherche schuf einen Überblick über vorhandene projektrelevante Unterlagen in nationalen und internationalen Archiven, darunter auch im Historischen Archiv Krupp. Das Projekt umfasste den Zeitraum seit den 1920er Jahren und bezog sowohl die Haltung Alfried Krupps (1907-1967) in der Weimarer Republik ein als auch den Umgang Krupps mit der NS-Vergangenheit in der Zeit der Bundesrepublik. Dabei sollte der Blick über das unternehmerische Handeln Alfried Krupps hinausgehen und auch andere Dimensionen berücksichtigen, beispielsweise politische Positionen oder private Äußerungen.
2023 wurden die Ergebnisse des von Prof. Conze geleiteten Rechercheprojekts vorgestellt und auf der Website der Stiftung veröffentlicht: Ausgewählte inhaltliche Tiefenbohrungen im Rahmen der Quellenrecherche hatten unter anderem weiteren Aufschluss über die Haltung von Alfried Krupp zum Nationalsozialismus gegeben. Zum Beispiel handelte es sich dabei um Mitgliedschaften Alfried Krupps in NS-Organisationen ebenso wie um die sogenannte „Landsberghilfe“, ein informelles Unterstützungsnetzwerk für Mithäftlinge Krupps im US-amerikanischen Kriegsverbrechergefängnis Landsberg, und den Themenkomplex „Zwangsarbeit“. Auch eine Gruppe von renommierten Historiker*innen, die auf Einladung der Krupp-Stiftung die Ergebnisse des Quellenprojekts diskutierte, hielt eine Fortsetzung des Projekts für sinnvoll. Auf dieser Grundlage beschloss die Stiftung, die Quellenrecherche mit einer zweiten Projektphase der vertieften Analyse und Erforschung fortzusetzen.
Über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde 1907 als ältester Sohn von Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach in eine Industriellenfamilie geboren. Früh wurde er auf seine Führungsrolle vorbereitet, die er 1943 als Alleininhaber des Unternehmens übernahm. 1945 wurde er von US-Truppen verhaftet und unter Arrest gestellt. 1948 wurde er im Zuge des Nürnberger Krupp-Prozesses zu einer Freiheitsstrafe und der Einziehung seines Vermögens verurteilt und 1951 begnadigt. 1953 übernahm er wieder die Leitung der Firma Krupp. 1967, kurz vor seinem Tod, verfügte er, sein Privat- und Firmenvermögen in eine gemeinnützige Stiftung einzubringen. Die Stiftung nahm 1968 ihre Arbeit auf und verwendet die ihr zufließenden Erträge aus ihrer Unternehmensbeteiligung, die mittlerweile bei 20,93 Prozent liegt, für die Förderung von Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur, Gesundheit und Sport.
Das unternehmerische Handeln Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs im Nationalsozialismus ist im Kontext des Nürnberger Krupp-Prozesses und in späteren wissenschaftlichen Studien bereits thematisiert worden. Eine umfassende Untersuchung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus gibt es bislang jedoch nicht. Was bedeutete die nationalsozialistische Vergangenheit für sein Wirken an der Unternehmensspitze? Reflektierte er seine Verantwortung? Hat er sich zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung mit seinem Handeln beschäftigt? Eine Annäherung an Alfried Krupp, die sich auch diesen Fragen zuwendet, steht bis heute aus.
Über die Krupp-Stiftung
Die gemeinnützige Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung fördert seit 1968 Menschen und Projekte in Kunst und Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Sport und hat sich dafür bisher mit 695 Mio. € engagiert. Stifter ist der letzte Alleininhaber der Firma Fried. Krupp, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dessen Vermögen auf die von ihm errichtete Stiftung überging. Als größte Aktionärin der heutigen thyssenkrupp AG verwendet die Stiftung die ihr aus ihrer Beteiligung zufließenden Erträge ausschließlich für gemeinnützige Zwecke. Mit ihrer Arbeit setzt sie Akzente in der Wissenschafts- und Hochschulentwicklung, sie möchte zur Völkerverständigung beitragen und die Ausbildung junger Generationen verbessern. Seit Jahrzehnten setzt sich die Stiftung für die Aufarbeitung der Geschichte der Firma und Familie Krupp ein: Sie hat u.a. wissenschaftliche Projekte und Publikationen initiiert, die von renommierten Historikern wie Lothar Gall oder Harold James umgesetzt wurden. Am Sitz der Stiftung vermittelt eine Ausstellung in der Villa Hügel Informationen über die Rolle der Firma Krupp im „Dritten Reich“ ebenso wie über die Person Alfried Krupps. Eine App informiert u.a. über die Geschichte Krupps im Nationalsozialismus. Das Historische Archiv Krupp, das umfangreiches Material zu Alfried Krupp verwahrt, steht allen Interessierten offen und unterstützt wissenschaftliche und andere Vorhaben.
Weitere Informationen und Download der Ergebnisse des Rechercheprojekts: www.krupp-stiftung.de/alfried-krupp/
Kontakt
Barbara Wolf
Leiterin Kommunikation, strategische Entwicklung und Transformation
Mobil: +49 (0)162 49 51 225
E-Mail: wolf@krupp-stiftung.de