Jahresprogramm 2024
Der Vierte Kinder- und Jugendsportbericht

Der Vierte Kinder- und Jugendsport-
bericht

Unser Engagement: Der Vierte Deutsche Kinder-
und Jugendsportbericht

Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung unterstützt seit Jahren eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Kinder- und Jugendsport. 2003 initiierte sie den Kinder- und Jugendsportbericht, der die aktuelle Situation im Kinder- und Jugendsport darlegt und Handlungsempfehlungen für Politik, Verbände, Vereine und Schulen gibt. Seitdem wurden Schwerpunktthemen wie Kinder- und Jugendsport im Umbruch oder Bewegung und Sport von Kindern bis zu zwölf Jahren intensiv aufgearbeitet. Der Vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht, der im Oktober 2020 erscheint, befasst sich mit den Themen Leistung, Gesundheit und Gesellschaft. Darin werden aktuelle Fragestellungen beleuchtet, wie z. B. die positive Wirkung von Sport auf chronisch erkrankte Kinder oder das Konzept der Physical Literacy als ganzheitlichen Ansatz der kindlichen Bewegungsförderung, in dem neben Partizipation, motorischen Fähigkeiten auch Motivation und Selbstwirksamkeit zusammengefasst werden.

Podiumsdiskussion zum Thema „Kinder- und Jugendsport“ am 29. Oktober 2020

Mit Prof. Dr. Christoph Breuer, Dr. Eckart von Hirschhausen, Pauline Grabosch, Tim Reichert und Alfons Hörmann im Live-Stream, moderiert von Julia Scharf.

Die Veranstaltung wurde auch auf dem Instagram-Kanal „kruppstiftung“ übertragen. Schauen Sie rein unter https://www.instagram.com/kruppstiftung/ und folgen Sie uns!

Diskutant*innen

Julia Scharf | Sportjournalistin und TV-Moderatorin

Pauline Grabosch | Profisportlerin im Bahnrad

Dr. Eckart von Hirschhausen | Mediziner, TV-Moderator, Kabarettist & Buchautor

Tim Reichert | Managing Director FC Schalke 04 Esports GmbH

Prof. Dr. Christoph Breuer | Sportökonom, Sportsoziologe, Hochschulprofessor

Alfons Hörmann | Präsident Deutscher Olympischer Sportbund

Kernthemen des Vierten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts


Der Vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht ist überschrieben mit den Themen „Leistung, Gesellschaft, Gesundheit“. In den letzten fünf Jahren ist ein Rückgang der Leistungsorientierung im Kinder- und Jugendsport zu verzeichnen – sowohl im Schulsport als auch im Sportverein. Doch: Ohne Wettbewerb, Regeln, sportartspezifische Fertigkeiten und Leistungsorientierung verliert der Sport für Kinder- und Jugendliche seine Existenzberechtigung. Ebenfalls wachsen Kinder und Jugendliche in einem sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Umfeld auf, z. B. sind sie mit einem dynamisch steigenden Angebot an digitalen Medien und Spielen konfrontiert. Zwar steht die Erforschung der Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendsport noch am Anfang, doch scheinen das mit dem Medienkonsum unmittelbar einhergehende Sitzverhalten und der daraus folgende geringe Energieumsatz problematisch. Die gesundheitlichen Folgen des rückläufigen Sportverhaltens von Kindern und Jugendlichen sind gravierend, daher ist die kindliche Bewegungsförderung von großer Bedeutung. Physical Literacy stellt einen ganzheitlichen Ansatz der (kindlichen) Bewegungsförderung dar, der Partizipation, motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Motivation und Selbstwirksamkeit inkludiert.

Themenschwerpunkt Leistung


Der Leistungsvergleich im Sport ist für Kinder und Jugendliche eine Selbstverständlichkeit. Sport ist weit mehr als nur Bewegung – er ist auch das Streben nach Wettbewerb, bei dem wir uns mit anderen und uns selbst messen. Dieser Kerngedanke des Sports spielt bereits im Kindes und Jugendalter eine wichtige Rolle. So ertasten Kinder beim Sport spielerisch ihre eigenen Grenzen im Wettbewerb mit anderen und erfahren, dass eigene Leistung und Anstrengung zu spürbarem Erfolg führen kann. Wissenschaftliche Studien zeigen zudem: Für Kinder ist es selbstverständlich, sich im Sport mit anderen zu messen und ihre Leistung zu vergleichen. Schließlich ist auch das Erlernen von Sportarten an eine Leistungskomponente geknüpft. Mit dem Leistungsgedanken geht die Berücksichtigung von individuellen Belastungsgrenzen einher.

Unsere Botschafterin Pauline Grabosch
„Für mich ist der Wettbewerbsgedanke grundlegend, um weiterkommen. Aber auch abseits vom Profisport ist eine bewusste Leistungsorientierung wichtig für die sportliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Dadurch gewinnen Kinder und Jugendliche Freude am Sport.“

Themenschwerpunkt Gesellschaft

Kinder, die auf dem Bolzplatz Fußball spielen, auf dem Schulhof um die Wette laufen oder sich im Schwimmbad austoben – Sport spielte im Leben von Heranwachsenden immer schon eine große Rolle. Geändert haben sich inzwischen jedoch die Rahmenbedingungen – seien es der frühzeitige und ganztägige Besuch von Kindertagesstätte und Kindergarten, die veränderte Struktur des Schulsystems, das Aufkommen neuer Freizeitbeschäftigungen und die digitale Vernetzung durch Smartphones und soziale Netzwerke. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern diese Entwicklungen den Kinder- und Jugendsport und den Stellenwert des Sports beeinflussen. Die geänderten Rahmenbedingungen führen zu einem Rückgang der Alltagsaktivitäten. So sind Kinder immer früher und länger in Institutionen wie Kindertagesstätten und Grundschulen eingebunden, wo sie mehr Zeit im Sitzen verbringen. Heute erreichen bereits mehr als 80 % der Heranwachsenden nicht mehr die von der Weltgesundheitsorganisation WHO geforderte tägliche Bewegungszeit von 45 Minuten. Darüber hinaus hat der Mangel an (Sport-)Lehrpersonal zugenommen, während der Anteil des Sport- und Schwimmunterrichts am Schulcurriculum abgenommen hat. Gleichzeitig ist das digitale Angebot für Kinder und Jugendliche kontinuierlich gewachsen, so dass diese nachweislich immer mehr Zeit mit digitalen Aktivitäten verbringen.

Unser Botschafter Tim Reichert
„Die Digitalisierung prägt den Alltag von jungen Menschen in hohem Maße. Der eSport als eine Ausprägung der Digitalisierung hat sich mittlerweile neben dem klassischen Sport etabliert. Ich weiß, dass das Thema kontrovers diskutiert wird – persönlich bin ich aber der Überzeugung, dass eSport Begeisterung auch für den Sport allgemein wecken kann und darin ein Potenzial steckt, das wir nutzen können.“

Trotz dieser Entwicklungen ist der Sport weiterhin die Nr. 1 der außerschulischen Freizeitaktivitäten bei Kindern und Jugendlichen. Sport wird in diesem Lebensabschnitt vor allem im Verein ausgeübt, was einher gehen kann mit sozialer Anerkennung sowie einer Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit. Der Zugang zum aktiven Sportreiben und zur Mitgliedschaft im Sportverein ist jedoch immer mehr vom sozialen Hintergrund der Familie abhängig. Untersuchungen zeigen, dass Kinder aus sozial schwachen Familien weniger aktiv, gesundheitlich stärker beeinträchtigt (z.B. durch Übergewicht/Adipositas und chronische Erkrankungen) und weniger häufig Vereinsmitglied sind, sowohl im Sport als auch im Bereich Kultur.

Die Reduktion der Freizeit durch längere Betreuungs- und Schulzeiten und ein wachsender Fokus auf digitale Medien sind somit nachteilig für die Förderung von Bewegung, Spiel, Sport und letztlich Gesundheit. Aus diesen Gründen muss die Bewegung im Alltag wieder stärker gefördert und Kinder und Jugendliche im sportlichen Bereich gefordert werden. Dies kann einerseits über die bewegungsfreundliche und wohnortnahe Gestaltung von Lebensräumen erfolgen, beispielsweise durch den Ausbau von sicheren Radwegen und funktional gestalteten Grünflächen, die zum aktiven Bewegen einladen. Darüber hinaus erscheint es allerdings noch wichtiger, den Stellenwert von Bewegung, Spiel und Sport im Schulkontext zu stärken: durch die Rückkehr zu mehr Sportstunden, durch verlängerte Bewegungspausen,
AG-Angebote am Nachmittag sowie mehr qualifiziertes Personal und pflichtmäßigen Schwimmunterricht.

Themenschwerpunkt Gesundheit

Sport ist gesund, Sport hält gesund, Sport ist wichtig für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Alles richtig, aber warum machen es dann immer weniger Kinder und Jugendliche? Warum werden unsere Kinder immer unbeweglicher und dicker? Diese Frage wird meist mit „Daddeln“ beantwortet. Aber ist das wirklich so? Und wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken? Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang. Sie lernen ihr Umfeld aktiv kennen, sie entwickeln sich durch Bewegung. Und das nicht nur im Bereich der Motorik, sondern auch emotional, (psycho)sozial und kognitiv. Um dies zu fördern, muss naturgemäß das Umfeld bewegungsfreundlich ausgestaltet werden. Dafür sind in erster Linie die Eltern verantwortlich, vor allem bei jüngeren Kindern. Viele Untersuchungen haben inzwischen gezeigt, dass aktive Eltern aktive Kinder haben und umgekehrt. Die familiäre Vorbildfunktion spielt eine entscheidende Rolle für die sportliche Entwicklung von Kindern. Doch auch Einflussfaktoren wie Kindertagesstätten und Kindergärten, Schulen oder auch klimatische Verhältnisse sind sehr wichtig für die Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen. Denn: Die Mehrheit der Heranwachsenden in Deutschland erfüllt die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation nicht. Besonders dramatisch trifft dies auf weibliche Jugendliche zu.

Unser Botschafter Dr. Eckart von Hirschhausen
„Bewegung ist ein entscheidender Schlüssel für körperliche und geistige Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Um sich ausreichend bewegen zu können braucht es unter anderem saubere Luft, erträgliche Temperaturen und ausreichend Platz. Lange wurden Gesundheit und Sport getrennt von den Umweltbedingungen und -einflüssenbetrachtet, die sowohl förderlich, als auch hinderlich sein können. Mit meiner Stiftung arbeite ich genau an der Schnittstelle von Medizin, Öffentlichkeit und Politik und freue mich, mehr Menschen und Institutionen auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und Mitstreiter zu gewinnen für zwei grundlegende Ideen: Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns! Und gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Dafür wünsche ich mir auch von Sportlern, Funktionären und Stiftungen mehr sportlichen Ehrgeiz für eine zukunftsfähige und engeltaugliche Welt.“

Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich immer weniger und entwickeln als Folge davon immer mehr Übergewicht. Das beeinträchtigt nicht nur die physische, psychische und soziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sondern könnte auch zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen, wie dies z.B. Studien in den USA bereits gezeigt haben.

Wir wissen heute erheblich mehr über den Gesundheitsnutzen von Bewegung und Sport in Kindheit und Jugend als noch vor wenigen Jahren, z. B. über die Kommunikation der verschiedenen Organsysteme wie Muskel, Gehirn und Fettmasse sowie die zentrale Rolle von Sport und Bewegung in diesem Zusammenhang. Fakt ist: Sport und Bewegung haben nicht nur einen physischen Nutzen, sondern auch positive Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Besonders sinnvoll sind dabei Programme, die körperliche und koordinative Anforderungen miteinander kombinieren. Sport und Bewegung bieten auch Chancen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche: In Abhängigkeit des jeweiligen Zustandes wirken Sport und Bewegung direkt positiv auf den Krankheitsverlauf und führen zu psychischer Stabilisierung, Steigerung der Lebensqualität sowie sozialer Integration.

Physical Literacy

Gesundheitsorientierter Kinder- und Jugendsport in Deutschland sollte sich verstärkt am Konzept der Physical Literacy orientieren wie dies international bereits häufig üblich ist. Physical Literacy stellt einen ganzheitlichen Ansatz der (kindlichen) Bewegungsförderung dar, in dem neben Partizipation, motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch Motivation und Selbstwirksamkeit zusammengefasst werden. Es sollte ein Grundpfeiler bzw. eine fest verankerte Zieldimension von Sportunterricht in Deutschland sein. Bislang gibt es kaum konkrete Strategien, wie »Physical Literacy«, mit denen Bewegung im Kindes- und Jugendalter gefördert werden kann. Zentral scheint, Kindern und Jugendlichen die Zusammenhänge zwischen Bewegung/Sport und Gesundheit, aber auch Selbstwirksamkeit, Motivation und Vertrauen in das eigene Tun bewusst zu machen. Diese Vermittlung sollte durch qualifizierte Akteur*innen erfolgen. Das bringt die Chance mit sich, dass diese Akteur*innen Einfluss auf die bewegungsfreudige Ausgestaltung der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen nehmen, indem sie den Ausbau vorhandener Angebote forcieren können.